"Schimmelpfengs Obertonschule"

Eine multimediale Lernumgebung zur Einführung in die Kunst des Obertongesanges

Zusammen mit Wolfgang Martin Stroh  habe ich in nun die zweite Auflage dieser DVD herausgebracht, erweitert mit EXTRA - Materialen für den Musikunterricht in der Schule. Hier werden Musiklehrerinnen Materialien in die Hand gegeben, das Thema "Obertöne" im Musikunterricht gezielt und klar strukturiert zu behandeln. Den Schülern werden dazu Arbeitsblätter in die Hand gegeben, die als pdf-Dateien heruntergeladen und ausgedruckt werden können.  Wolfgang Stroh hat als Professor der Uni Oldenburg jahrelang Musiklehrer/innen ausgebildet und die Unterrichtseinheiten entsprechend gestaltet.

Im Hauptteil der DVD werden die Prinzipien des Obertongesanges, elf Grundübungen und zahlreiche Übungen für Fortgeschrittene erläutert. Alle Übungen werden als Video vorgeführt und können so sehr genau nachvollzogen werden. Als Übungshilfen können verschiedene Grundtöne von Windharfe und Monochord, die für Männer und Frauen jeweils am besten geeignet sind, abgespielt und zu ihnen gesungen werden.

In einem ausführlichen Theorieteil werden die naturwissenschaftlichen, psychologischen und philosophischen Hintergründe von Obertonmusik dargestellt. Der Aufbau des menschlichen Stimmapparates wird ebenso erläutert wie die Funktionsweise wichtiger Obertoninstrumente. Strukturanalysen von Obertonkompositionen geben einen Eindruck von der Vielfalt von Obertonmusik und eine  musikalische Reise rund um den Globus zeigt, dass Obertonmusik eine weltweite Erscheinung ist.

"Schimmelpfengs Obertonschule" enthält über die reich bebilderte und mit Ton- und Videobeispielen anschaulich ausgestattete DVD auch einen Service-Teil. Ein Konzertmitschnitt und sechs vollständige Titel aus meinen CD-Produktionen sind zu hören. Das Schwingungsbild und ein sogenanntes Spektogramm des eigenen Gesanges können aufgezeichnet und am Bildschirm bewundert werden. Über ein umfangreiches Stichwortverzeichnis erreicht man alle Informationen, die auf der DVD kompakt vereint sind. Insgesamt sind über 60 Videoclips und 63 Tonbeispiele zusammen mit Bildern, Notenbeispielen und Texten auf dieser 4 GB großen DVD zu finden.

Stets aktuelle Informationen und das ausführliche Inhaltsverzeichnis der DVD sind zu erhalten unter

www.musik-for.uni-oldenburg.de/obertonschule.

"Schimmelpfengs Obertonschule" kostet  inkl. Versand € 29,50. Bestellungen an Reinhard Schimmelpfeng, Wielandstr. 8, 28203 Bremen - Tel. 0421 - 75194  schimmelpfeng.reinhard@t-online.de.

"Obertongesang als erfahrungsorientierter Musik- und Akustikunterricht"

Artikel für das Verbandsmagazin des Verbandes deutscher Schulmusiker


Akustik spielt im Physikunterricht eine eher untergeordnete Rolle. Selten werden interdisziplinäre Brücken zum Musikunterricht geschlagen. Der moderne Musikunterricht hingegen ist voll „impliziter Akustik“: beim Experimentieren mit Klangerzeugern in der Grundschule, beim Umgang mit mp3, i-Pad und Laptop in der Mittelstufe, beim „Kampf“ mit den Instrumenten, Verstärkern und Mischpulten des Rock-Instrumentariums und natürlich bei der Instrumentenkunde oder der Behandlung von avantgardistischer Musik
zwischen Stockhausen und Ligeti oder dem Techno eines Westbam in der Oberstufe. Selten jedoch wird aus der „impliziten“ eine „explizite“ Akustik, die dazu auch noch erfahrungsbezogen und nicht allein praktizistisch oder kognitiv unterrichtet wird.

Obertongesang ist musikalisch erfahrene Akustik, die hörbare Entfaltung dessen, was Pythagoras erahnt, Fourier theoretisch gefunden und Helmholtz zum Grundgesetz der Harmonie in der Musik erklärt hat: In jedem musikalischen Ton ist die Obertonreihe enthalten und diese Reihe spiegelt die mathematische Grundstruktur von Musik wider.... Konkret, ein Mensch singt zweistimmig, indem er einem Grundton eine zweite Stimme von sinusförmigen Obertönen entlockt. Obertongesang bietet die Chance, in fast allen Altersgruppen erfahrungsorientiert „explizite Akustik“ zu unterrichten. Hier lässt sich die kognitive Durchdringung dessen, was man als Singender gleich-sam intuitiv und wie selbstverständlich tut, mit einem bewussten In-Sich-Hineinhorchen und neuen musikalischen Erfahrungen verbinden. Denn die Basis und der Ausgangspunkt praktizierten Oberton-singens ist ein Hören auf das, was die eigene Stimme, die ja jeder gut zu kennen glaubt, beim Singen produzieren kann. Ein erstes Beispiel: Eine Vorübung des „richtigen“ Obertongesanges ist das entspannte Singen von Vokalreihen. Man kann den Schüler/innen die Aufgabe stellen, ein U zu singen und zu versuchen, ohne abzusetzen zu einem I zu gelangen. Die Schüler/innen werden dabei zwei Entdeckungen ma-chen: Zum einen werden sie bemerken, dass sich zwangsweise und wie von selbst zwischen U und I andere Vokale „einschieben“ , dass jeder Weg von U nach I über andere Vokale führt. Zum anderen werden sie bemerken, dass es mehrere Möglichkeiten gibt vom U zum I zu gelangen, neben dem Weg U-O-A-E-I noch einen, den man grob mit U-Ü-I, oder einen, den man mit U-O-Ö-I beschreiben könnte.


Schimmelpfengs Fünf Grundprinzipien des Obertongesangs:

1. Wir nehmen Vokale als Klangbausteine. Vokale sind die Träger von Klangfarbe.
2. Diese Vokale lassen wir ineinander verschmelzen.
3. Dabei kommt es uns auf Langsamkeit an, damit die Vokale ineinander verschmelzen und Zeit haben sich zu verändern.
4. Es kommt auf feinste Veränderungen des Klanges an.
5. Uns interessiert weniger, dass wir auf einem Vokal landen. Wir hören vielmehr auf das, was auf dem Weg zwischen den Vokalen geschieht.

Von dieser ersten Selbstbeobachtung ausgehend kann man nun im Unterricht nach einem Reißverschlussverfahren in eine musikalische und in eine akustische Richtung weiter arbeiten: Die musikalische Richtung ist die des Obertongesanges selbst. Geeignete Übungen im Klassenchor, in Partnerarbeit und im Sologesang widmen sich jenen Vokalübergängen, die als technischer Schlüssel zum Obertongesang dienen. Details solcher Übungen befinden sich in unserer Obertonschule auf DVD und werden in den Workshops und Seminaren von Reinhard Schimmelpfeng ausführlich behandelt. Ziel aller Übungen ist es, einerseits das Gehör für die Obertonhaltigkeit der Vokale zu schulen und gleichzeitig den Stimmapparat derart zu trainieren, dass sich aus dem Vokal ein zunehmend kla-rer sinusförmiger Oberton herausschält. Im Klassenchor kann sich auf diese Weise bei der einfachen Vorgabe, dass alle Schüler versuchen sollen, kontinuierlich O-A nach den Angaben der ersten Übung zu singen, nach einiger Übungszeit ein faszinierendes Lichtermeer von sinusförmigen Obertongirlanden ergeben. Die erste Übung A-O: Wir lassen das „o“ wie bei „Brot“ über ein „o“ wie bei Wort in ein französisches „o“ wie bei „fond“ übergehen, bevor es von einem französischen „fin“ abgeholt und am Ende dann ein „a“ wie bei „Nase“ geworden ist.

Die zweite Übung Ö - I: Wir singen ein „ö“, bei dem die Zungenränder die oberen Backenzähne berühren. Durch feine Bewegungen der Zunge nach vorn und nach hinten können wir den Klang bis zu einem „i“ bringen. Die Lip-pen sollen sich dabei möglichst wenig verändern und die Zungenränder immer Kontakt mit den Zähnen haben. Die beiden ersten Grundübungen von Schimmelpfengs Obertonschule mit Notenbild der Obertöne, auf die die Übungen abzielen Damit sind wir schon bei der zweiten akustischen Richtung, in der man ausgehend von den ersten Selbstbeobachtungen mit dem Vokalisieren weiterarbeiten kann. Die Ausgangsfrage für die akusti-sche Weiterarbeit werden die Schüler/innen im Anschluss an die oben beschriebene erste Übung selbst stellen: Warum kann ich vom U nicht „direkt“ zum I gelangen, warum ergibt sich auf dem Weg vom U zum I ein O, A und E oder ein Ü oder ein O und Ö? Und im Anschluss an die ersten musikalischen Übungen oder das Anhören von Tonbeispielen eines professionellen Obertongesanges wird eine zweite Frage lauten: Wie und warum wird aus einem Vokal, also einer Klangfarbe, plötzlich ein einzelner flötenartiger Ton mit genau bestimmbarer Tonhöhe? Die Antwort auf die erste Frage kann teilweise von den Schüler/innen durch genaue Selbstbeobachtung beantwortet werden. Denn offensichtlich gehört zu jedem Vokal bei gleichbleibender Tonhöhe eine charakteristische Haltung des Mund-Rachenraumes, die durch die Stellung von Zunge, Gaumen, Lippen, Zähnen etc. gegeben ist. Wenn man nun von einem Vokal zum anderen wechselt ohne den Luftstrom abzusetzen, dann muss man die Stellungen der einzelnen Bestandeile des Mund-Rachenraumes kontinuierlich ändern. Die Stellung für U kann in die von I nur überführt werden, wenn dazwischen Stellungen anderer Vokale eingenommen werden.

Diese physiologische Selbstbeobachtung hat einen physikalischen Hintergrund, der den ersten Schritt bei der Beantwortung der zweiten Frage darstellt. Die Stimmbänder erzeugen einen sehr obertonhal-tigen Klang und der Mund-Rachenraum wirkt wie ein Filter, der gewisse Obertonbereiche durch Re-sonanz verstärkt und andere abschwächt. Der verstärkte Obertonbereich heißt Formant. Jeder Vokal hat einen eindeutig bestimmten Formantbereich. Der Mund-Rachenraum ist ein Formantfilter. Er ist übrigens auch für den spezifischen Klang einer Maultrommel zuständig. Andere Formantfilter sind der Dämpfer einer Trompete oder das Wah-Wah-Pedal (wobei der Klang U-O-A zur englischen Bezeichnung „Wah“ geführt hat). Den Schülerohren am geläufigsten ten elektronische Formantfilter von Synthesizern sein, die jede Technoparty zum Erlebnis werden lassen.

Die Frage, wie sich beim Obertongesang aus dem Vokalklang (also einer Art „Formantsingen“) ein sinusförmiger Oberton herausschälen kann, führt zum Phänomen der Fourieranalyse. Der Übergang vom Formant- zum Obertonsingen geschieht dadurch, dass der Mund-Rachenraum von einem Filtersystem, das einen Obertonbereich verstärkt, umschlägt in einen (Fourier-)Filter, der nur einen einzigen Oberton durchlässt, indem das Filtersystem in eine Art Eigenschwingung gerät. Eine solche Eigenschwingung ist den meisten bekannt als die pfeifende Rückkopplung zwischen Mikrofon und Lautsprecher einer PR-Anlage. Beim Obertongesang geschieht diese Rückkopplung kontrolliert und ohne externe Energiezufuhr (aus der Steckdose) wie bei der Mikrofon-Rückkopplung. Daher ergibt sich kein unangenehmes Pfeifen, sondern ein leiser, aber deutlicher Sinuston. Die Obertonübungen sind ein musikalisches Spiel mit diesem Übergang von Formant- zum Fourierfil-ter, von der Vokalerzeugung zur (echten) Fourieranalyse. Letztere besagt ja, dass jeder Ton in Ober-töne zerlegbar ist und – umgekehrt – sich aus einer Reihe von sinusförmigen Obertönen zusammen-setzen lässt. Obertongesang ist somit praktizierte und musikalisch umgesetzte Fourieranalyse. Die Obertonübungen sind gehörte, erlebte und gestaltete musikalische Akustik. Abbildung: Je nach Lage des Grundtons werden in jedem Vokalbereich andere Obertöne erzeugt. Fourieranalysen sind Musikern durchaus geläufig, man denke an das Überblasen von Luftinstrumenten („Naturtöne“), an das Flageolett der Saiteninstrumente oder einfach an die pythagoreischen Experimenten der ganzzahligen Teilung einer Saite. Weniger bekannt ist vielleicht, dass auch die farbenfrohen Animationen eines Windows Media-Players die grafische Darstellung der Ergebnisse einer Fourieranalyse sind: Die Einstellung Streifen und Wellen/Streifen oder Meeresrauschen ist nichts anderes als die Frequenz-Amplitudendarstellung eines Spektrums.

In unserem erfahrungsbezogenen Lehrgang durch die Welt des Obertongesangs darf die „notengetreue“ Analyse des Obertongesanges nicht fehlen. Irgendwann werden die Schüler/innen bei ihren eigenen Experimenten oder beim genauen Hinhören auf professionellen Obertongesang bemerken, dass man ausgehend von einem konstanten Grundton nicht einfach jede Tonhöhe als Oberton erzielen kann, sondern nur eine ganz bestimmte Auswahl. Hier ist nun Gelegenheit, die Struktur der Obertonreihe zu besprechen. Uns fällt auf, dass einige der gesungenen und gehörten Obertöne „nicht harmonisch“ klingen, d.h. nicht in das uns geläufige Tonsystem passen. So klingt der 7. Oberton etwas tiefer als die (diatonisch) kleine Septime, der 11. und 13. Oberton entsprechen keinem Ton der diatonischen Skala mehr, und so weiter. Zum Abschluss muss man fragen, was eigentlich „harmonisch“ ist. Denn weder können ganzzahlige Verhältnisse, noch die Obertonreihe, noch die Fourieranalyse als Legitimation der bescheidenen Auswahl von sieben oder 12 Tonstufen des uns geläufigen diatonischen oder chromatischen Tonsys-tems herhalten. Obertonmusik wirkt auf alle Menschen äußerst „harmonisch“, und doch führt sie uns in eine Welt der Harmonie, die nicht mehr ganz im altgewohnten diatonischen oder chromatischen System aufgeht.